TikTok dominiert die Social-Media-Welt – und alle anderen Plattformen passen sich an. Wie schafft man Inhalte, die in dieser neuen Dynamik funktionieren? Die EULI-Formel bietet eine klare Strategie, um die Aufmerksamkeit der Nutzer:innen zu gewinnen.
Der Aufstieg von TikTok hat für Veränderung in der Social-Media-Landschaft gesorgt. In Deutschland stand TikTok 2024 auf Platz 3 der meistgenutzten Social-Media-Apps1. Noch viel spannender ist eine andere Zahl: nämlich wie viel Zeit die Nutzer:innen in der App verbringen.
Je nach Erhebung schwankt die Verweildauer pro Nutzer:in zwischen knapp 60 Minuten und 90 Minuten pro Tag2345. Die genaue Zahl ist im Zweifel auch gar nicht so entscheidend. Viel wichtiger ist: Alle anderen Social-Media-Plattformen liegen darunter. Selbst YouTube, das wegen langer Dokus und Reportagen oder Musik-Streaming6 traditionell immer weit vorne lag, wurde von TikTok überholt7.
Die TikTokisierung der Social-Media-Plattformen
Um diesem Druck zu begegnen, fingen die anderen Social-Media-Plattformen an, TikTok zu kopieren. Beobachter:innen sprechen in diesem Zusammenhang gerne von einer „TikTokisierung“8. Was ist damit gemeint?
Bei Instagram und Facebook heißen die Kurzvideos im Hochformat „Reels“, bei YouTube „Shorts“, Snapchat hat den Abklatsch „Spotlight“ getauft. Selbst LinkedIn hat testweise einen vertikalen Videofeed gestartet9. Doch die Konkurrenz kopiert nicht nur das Format und die Bedienoberfläche von TikTok, sondern auch die Art und Weise, wie die Inhalte ausgespielt werden.
„Content Graph“ statt „Social Graph“
TikTok empfiehlt Inhalte vor allem nach den antizipierten Interessen seiner Nutzer:innen. Ob ich einen Account schon kenne, oder nicht, spielt eine untergeordnete Rolle. TikTok nennt dieses Prinzip „Content Graph“10.
Anders als Nutzer:innen es also bislang bei Facebook, Instagram oder Twitter gewohnt waren, sind meine Kontakte oder mein Netzwerk weniger bedeutsam. Das führt im Zweifel dazu, dass ich das Urlaubsvideo meiner Arbeitskollegin vielleicht seltener sehe als ein Bit von einem Comedian, den ich bisher noch nicht kannte.
TikTok hat gezeigt, dass sich mit dem „Content Graph“ deutlich höhere Verweildauern erzielen lassen. Deshalb haben die anderen Plattformen inzwischen dieses Empfehlungssystem übernommen11. Wann und von wem der Inhalt gepostet wurde, ist dadurch weniger wichtig geworden als das Thema des Beitrags selbst1213. Bei YouTube ist das im Übrigen schon deutlich länger so14.
Social-Media-Teams müssen sich anpassen
Für Redaktionen bedeutet das: Inhalte produzieren, die ihre Zielgruppe sehen wollen. Das sind in der Regel keine trockenen Nachrichten, Verweise auf lineare Sendeplätze im Radio oder Fernsehen und im Fall von Marken auch keine offensive Werbung für die eigenen Produkte oder Dienstleistungen.
Menschen verbringen vor allem Zeit in den sozialen Medien, um mit Freund:innen in Kontakt zu bleiben und Langeweile zu überbrücken15161718. Diesem Nutzungsszenario müssen sich Social-Media-Teams anpassen. Die Inhalte sollten also vor allem ansprechend für die Zielgruppe und im besten Fall zeitlos sein. Marken sollten sich bei jedem Posting die Frage stellen: Was hab ich als Nutzer:in von diesem Beitrag?
Ich berate Redaktionen bei ihrer Social-Media-Strategie
Die EULI-Formel im Überblick
Um die Themenfindung für Social-Media-Teams zu vereinfachen, habe ich ein paar Grundzutaten zusammengetragen. Eine Themenidee sollte mindestens eine dieser Grundzutaten erfüllen, um geeignet für eine Umsetzung zu sein. Damit ich mir die Kategorien besser merken kann, habe ich das Rezept EULI-Formel getauft.
Jedes Posting sollte vor der Veröffentlichung auf die EULI-Kriterien überprüft werden. Das sind:
- Emotion
- Unterhaltung
- Lernen
- Inspiration
Damit du besser nachvollziehen kannst, wie das in der Praxis aussieht, habe ich ein paar Beispiele zusammengetragen.
Emotion
Katzenvideos, süße Kinder oder persönliche Schicksale gehen häufig viral, weil sie bei vielen Menschen eine ähnliche Reaktion auslösen. Finden wir Inhalte und Umsetzungsideen, die solche Emotionen bewirken können, stehen die Chancen nicht schlecht, damit größere Reichweiten zu erzielen. Zu den relevantesten Emotionen zählen Freude, Traurigkeit, Angst, Wut, Überraschung und Ekel19.
Während populistische und demokratiefeindliche Kräfte in der Gesellschaft sich online häufig die Angst, Trauer oder Wut von Menschen zunutze machen, können Marken auch positive Emotionen hervorrufen: Beispielsweise, indem ein Account über besonders positive Momente oder Entwicklungen berichtet. Andere Marken zeigen Lösungen für Probleme auf oder blicken auf Menschen in einer besonders schönen Situation.
Unterhaltung
Harte Informationen sind für viele Nutzer:innen Beiwerk, während sie Zeit in Social-Media-Apps verbringen. Stattdessen suchen sie nach Ablenkung und Unterhaltung. Dass Unterhaltung auch als Instrument zur Steigerung von Aufmerksamkeit für Marken funktionieren kann, haben Duolingo oder Ryanair schon erfolgreich gezeigt20. Aber auch journalistische Accounts können damit auf sich aufmerksam machen.
Kollegin Antje Kießler und ich hatten die Idee, dass Susanne Daubner für die tagesschau-Accounts Jugendwörter vorträgt. 2021 haben wir das Video erstmals gedreht. Inzwischen ist daraus ein festes Meme geworden. Die Marke und Susanne Daubner werden von der Community für die Aktion gefeiert21.
Aber ich beobachte im Markt mittlerweile auch, dass andere Marken mutiger werden und auf Unterhaltung setzen. Beispielsweise postet das Bundesjustizministerium Memes zu aktuellen Gesetzesänderungen.
Lernen
Viel Potenzial für Social-Media-Redaktionen sehe ich für Inhalte, die neues Wissen vermitteln oder nützliche Informationen teilen. Marken wie Finanzfluss oder Finanztip haben mit dieser Strategie viele Fans gewinnen und eine Reputation aufbauen können.
Dafür muss sich aus dem Wissen aber auch ein konkreter Nutzwert für die Community ableiten können. Im journalistischen Bereich ist ZDFinfo damit sehr erfolgreich.
Inspiration
Menschen online suchen häufig nach neuen Ideen: um essen oder feiern zu gehen, um zu verreisen, um zu shoppen oder zum Beispiel zu renovieren. Auch in diesem Feld können sich Marken sehr erfolgreich positionieren.
Das zeigen zum Beispiel MitVergnügen oder Creator:innen wie Yules. Mir begegnen in letzter Zeit aber auch häufiger Redaktionen, die vermehrt auf Inspirationsinhalte setzen.
EULI-Formel: Mein Fazit
Die Social-Media-Landschaft verändert sich stetig – und TikTok hat gezeigt, wie erfolgreich ein Empfehlungssystem sein kann, das sich nicht auf soziale Verbindungen, sondern auf Inhalte konzentriert. Die anderen Plattformen haben nachgezogen, wodurch sich für Social-Media-Teams neue Herausforderungen und Chancen ergeben. Wer in den Feeds sichtbar bleiben will, muss verstehen, welche Inhalte wirklich relevant für die Zielgruppe sind.
Mit der EULI-Formel gibt es eine einfache Strategie, um erfolgreiche Postings zu entwickeln. Emotion, Unterhaltung, Lernen und Inspiration sind die Kernzutaten, die Inhalte nicht nur ansprechender, sondern auch erfolgreicher machen. Wer diese Prinzipien konsequent anwendet, kann im Wettbewerb um Aufmerksamkeit bestehen – egal, ob als Marke, Redaktion oder Creator.
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Quellen
- https://www.ard-media.de/media-perspektiven/publikationsarchiv/detailseite-2024-1/ard-zdf-medienstudie-zahl-der-social-media-nutzenden-steigt-auf-60-prozent ↩︎
- https://sensortower.com/blog/tiktok-power-user-curve ↩︎
- https://www.emarketer.com/chart/261308/average-time-spent-per-day-with-netflix-tiktok-youtube-by-us-adult-users-2019-2024-minutes ↩︎
- https://medium.com/@Jon_35384/apptopia-future-of-mobile-data-explained-352841ea834b ↩︎
- https://www.statista.com/statistics/1377051/us-tiktok-users-time-spent-social-media-apps/ ↩︎
- https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/14695405221133266 ↩︎
- https://datareportal.com/reports/digital-2023-global-overview-report (187) ↩︎
- https://www.socialmediawatchblog.de/dma-und-privacy-shield-die-eu-veraendert-das-netz-ein-umfassender-blick-auf-desinformation-tipps-fuer-inklusive-posts/ ↩︎
- https://onlinemarketing.de/social-media-marketing/linkedin-testet-video-feed-a-la-tiktok ↩︎
- https://ads.tiktok.com/business/en-US/blog/move-aside-ugc ↩︎
- https://www.theverge.com/2022/7/27/23281451/facebook-instagram-meta-recommendation-discovery-engine-ai ↩︎
- https://support.tiktok.com/de/using-tiktok/exploring-videos/how-tiktok-recommends-content ↩︎
- https://about.instagram.com/de-de/blog/announcements/instagram-ranking-explained ↩︎
- https://blog.youtube/intl/de-de/news-and-events/uber-die-empfehlungen-von-youtube-videos/ ↩︎
- https://datareportal.com/reports/digital-2025-global-overview-report (362) ↩︎
- https://mpfs.de/app/uploads/2024/11/JIM_2024_PDF_barrierearm.pdf ↩︎
- https://de.statista.com/statistik/daten/studie/201402/umfrage/nutzungsmotive-fuer-social-media-der-marketing-relevanten-zielgruppen/ ↩︎
- https://www.researchgate.net/publication/259005804_Der_Nutzen_sozialer_Online-Netzwerke ↩︎
- https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/basisemotionen ↩︎
- https://thatrandomagency.com/2024/11/21/big-brands-on-tiktok-how-brands-like-scrubdaddy-duolingo-and-others-are-winning-over-gen-z/ ↩︎
- https://www.rnd.de/medien/jugendwort-2022-tagesschau-sprecherin-daubner-erntet-erneut-begeisterung-SD6AWNY3SZGCXHYTM4AENAAP4I.html ↩︎
Transparenz: Die KI-Tools ChatGPT, Microsoft Copilot und DeepL Write haben mich beim Schreiben dieses Artikels unterstützt.