Das 9-Euro-Ticket ermöglicht Millionen Menschen günstige Mobilität. Doch eine dauerhafte Lösung für günstigen Nahverkehr ist nicht in Sicht, obwohl sie so naheliegend wäre. Mein Kommentar.
Seit 1. Juni gilt in Deutschland das 9-Euro-Ticket. Für neun Euro pro Monat können Menschen in Deutschland im Sommer (Juni, Juli, August) stark vergünstigt den Nahverkehr nutzen. Bus, Bahn, Tram, Fähren und Regionalverkehr – alles inklusive, bundesweit. Mindestens 16 Millionen dieser 9-Euro-Tickets wurden bislang verkauft.
Und das erwartete Chaos in den Zügen? Das gab es zwar stellenweise zu Stoßzeiten, aber Daten, die belegen, dass es dadurch systematisch mehr Verspätungen oder Zugausfälle gibt, liegen bislang nicht vor. Stimmungsbilder in meiner Twitter-Timeline und der Austausch mit Freund:innen und Bekannten zeigt viel eher: Es läuft überraschend gut.
89 Prozent der Nutzer:innen loben das 9-Euro-Ticket
Repräsentative Befragungen stützen diese Beobachtungen: Seit Anfang Juni befragen zwei Meinungsforschungsinstitute im Auftrag der Verkehrsunternehmen wöchentlich 6.000 Personen ab 14 Jahren bevölkerungsrepräsentativ. Erste Ergebnisse wurden in dieser Woche veröffentlicht. „Die aktuellen Befragungsergebnisse zeigen, dass die Zufriedenheit derjenigen, die mit dem 9-Euro-Ticket den ÖPNV genutzt haben, insgesamt hoch ist. 89 % dieser Fahrgäste gaben an, dass sie mit ihrer letzten Fahrt in Bussen und Bahnen vollkommen, sehr zufrieden oder zufrieden waren“, sagt VDV-Präsident Ingo Wortmann.
Die Hauptgründe für den Kauf des 9-Euro-Tickets sind laut der Erhebung der Preis (71 %), der Verzicht auf Autofahrten (40 %), die flexible Nutzung am Wohnort (39 %) sowie die deutschlandweite Gültigkeit (34 %). Die Hauptgründe gegen den Kauf sind hingegen (neben dem fehlenden Reiseanlass) umständliche Verbindungen (38 %), die Präferenz fürs Auto (35 %), unattraktive Abfahrtszeiten (27 %) und lange Fahrtdauern (26 %).
9-Euro-Ticket für immer: Es gibt gute Gründe
Die positive Resonanz nach dem ersten Monat 9-Euro-Ticket zeigt für mich, wie wichtig es ist, dass wir allen Menschen dauerhaft günstigen Nahverkehr ermöglichen sollten. Die Argumente dafür liegen auf der Hand:
Ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket ermöglicht große Flexibilität. Menschen können sich auch spontan entscheiden, einen Wochenendausflug ans Meer, in die Berge oder zu Verwandten zu machen.
Ein günstiges, bundesweit gültiges Nahverkehrsticket ermöglicht Menschen Mobilität, die sie sich sonst nicht leisten könnten. Armutsbetroffenen Menschen wird eine Barriere genommen. Wie wichtig es ist, alle Leute in Sachen Mobilität mit ins Boot zu holen, zeigt die Aktion Ticketpaten.
Außerdem holen wir mit einem starken Nahverkehr Menschen raus aus ihren Autos. Erhebungen zeigen: In Deutschland kommen auf 1000 Einwohnende 527 Autos in Privathaushalten. Etwa 40 Prozent der Autos werden an einem durchschnittlichen Tag gar nicht bewegt. Und wenn, dann im Schnitt nur etwa 45 Minuten. Das ist in der Regel deutlich umweltschädlicher als die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Und in der restlichen Zeit nehmen die Autos öffentlichen Raum weg, in vielen Fällen kostenlos. Das zu ändern, ist eine gesamtgesellschaftliche Mission mit Blick auf die Klimakrise.
Und: Mit einem einfachen bundesweiten Abo-Ticket tun wir etwas gegen komplexe Verbund- und Tarifstrukturen. Die Karte der Verkehrsverbünde und Tarifverbünde in Deutschland sieht aus wie ein riesiger Flickenteppich. Solang sich Reisende innerhalb eines Verbunds bewegen, kann das funktionieren. Für Pendler:innen oder Tourist:innen ist die Tarifstruktur aber nicht nachvollziehbar. Und das sage selbst ich als Bahnvielfahrer. Der Vorteil des 9-Euro-Tickets: Es gilt bundesweit in allen Verkehrsverbünden. Ich muss mich also vor Ort nicht in komplexe Tarifstrukturen einlesen, um von A nach B zu kommen. Auch das Problem mit Übergängen zwischen zwei Tarifverbünden ist mit einem bundesweiten Nahverkehrsticket Geschichte.
Ob das Ticket am Ende neun Euro pro Monat, oder einen Euro am Tag (365-Euro-Ticket) kostet, sei dahingestellt. Fest steht aber: Aus vielen Gründen wäre eine günstige, bundesweite Ticketlösung für den Nahverkehr sinnvoll.
Forderungen nach einer dauerhaften Lösung
Auch Kommunen, Verbände und Politiker:innen fordern, das 9-Euro-Ticket für immer einzuführen. „Wir brauchen keinen kurzen ÖPNV-Sommer, sondern ein flächendeckendes ÖPNV-Land“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, dem Handelsblatt. „Deshalb müssen wir darüber nachdenken, perspektivisch ein bundesweit gültiges, einheitliches und vergünstigtes Ticket folgen zu lassen.“
Ähnlich äußerte sich die Interimschefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), Jutta Gurkmann. „Um den ÖPNV zu stärken und Fahrgäste dauerhaft zu halten, sind konstant günstige Ticketpreise wichtig“, sagte Gurkmann dem Handelsblatt. „Die Bundesregierung sollte deshalb ein Preismoratorium für Busse und Bahnen beschließen und in einen kundenfreundlichen ÖPNV und attraktive Angebote investieren.“ Mit Moratorium ist ein Aufschub gemeint. Die Verkehrsminister:innen der Bundesländer forderten mehr Investitionen von der Bundesregierung in den Nahverkehr. Normalerweise finanzieren die Länder den Nahverkehr.
Es scheitert am Mindset und politischen Mehrheiten
Warum also nicht einfach umsetzen? Die Frage der politischen Prioritäten und Finanzierung dieses Tickets nimmt Befürworter:innen schnell den Optimismus. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) schließt eine Verlängerung des Neun-Euro-Tickets aus. „Dauerhaft ist das nicht möglich. Denn das Ticket kostet im Monat über eine Milliarde Euro“, sagte Wissing in der Sendung „Frühstart“ von RTL/ntv. Bereits zuvor hatte er deutlich gemacht, dass die Maßnahme als Reaktion auf die hohen Energiepreise zeitlich befristet im Gesetz angelegt sei. „Dementsprechend gibt es derzeit keine Überlegungen, das zu verlängern.“
Die SPD hatte sich im Bundestagswahlkampf für Modelle wie das 365-Euro-Ticket starkgemacht. Im Ampel-Koalitionsvertrag taucht das Thema nicht mehr auf. Und das liegt nicht nur an fehlenden politischen Mehrheiten in den Parlamenten. Es liegt auch daran, dass Teilen in der Bevölkerung eine zukunftspositive Perspektive auf Mobilität ohne das private Auto fehlt.
Deutschland ist und bleibt vorerst auch ein Land der Autofahrer:innen. Dass Klimaschutz nicht ohne weniger motorisierten Individualverkehr funktioniert, ist vielen noch nicht bewusst. Und das sorgt natürlich auch dafür, dass Poltiker:innen gewählt werden, die dieses Mindset in die Parlamente tragen. Stattdessen stecken wir also alle gemeinsam mehr als vier Milliarden Euro in die Förderung von E-Autos, die sich vor allem Besserverdienende leisten können. Die Entfernungspauschale kostet uns etwa sechs Milliarden Euro. Und wir fördern mit drei Milliarden Euro einen Tankrabatt, der wenig Wirkung erzielt – vor allem in Haushalten mit weniger Einkommen – und fossile Energien fördert.
Eine naheliegende Lösung
Wie könnte also eine Lösung aussehen? Wollte man das 9-Euro-Ticket auf ein ganzes Jahr ausweiten, würde das hochgerechnet etwa 10 Milliarden Euro kosten. Würde das Ticket 30 Euro pro Monat kosten, wäre die Subventionssumme niedriger. Mit mehr als 12 Milliarden Euro wurde 2018 der Luftverkehrssektor in Deutschland subventioniert, indem Kerosin von der Energiesteuer und internationale Flüge von der Mehrwertsteuer befreit wurden. Vielleicht könnten wir genau dieses Geld benutzen, um so ein Ticket zu finanzieren?
Dafür braucht es politischen Mut und die Erkenntnis, dass motorisierter Individualverkehr in Zukunft keine große Bedeutung mehr spielen wird. Dass es solchen politischen Mut schon gibt, zeigen Beispiele wie Luxemburg oder Paris. Seit 2020 sind alle öffentlichen Verkehrsmittel in Luxemburg kostenlos. In Paris dürfen Dieselautos ab 2024 nicht mehr in die Innenstadt, Verbrenner ab 2030. Tempo 30 gilt bereits fast flächendeckend. Und Bürgermeisterin Anne Hidalgo investiert gerade massiv in den Ausbau von Fahrradwegen. Es kann funktionieren, wenn man es möchte.
Wie sind deine Erfahrungen mit dem 9-Euro-Ticket? Wohin bist du gefahren? Würdest du dir ein dauerhaftes, bundesweites, günstiges Abo-Ticket wünschen? Schreib mir eine Nachricht über Twitter oder LinkedIn.
Titelfoto: Deutsche Bahn AG / Max Lautenschläger